
Während die Politik versucht uns glauben zu machen, ein friedliches und respektvolles Zusammenleben verschiedener Kulturen sei (zumindest in Deutschland) unmöglich und 'Multikulti' sein hoffnungslos gescheitert, während Worte wie 'Migrant' oder 'Migrationshintergrund' langsam und schleichend einen unterschwellig be- und abwertenden Klang bekommen, während bei sinnvollen Mitteln zur Integration immer drastischer gespart wird - während all dies tagtäglich vor sich geht, läuft in Hannover ein kleines, wenig gefördertes Theaterstück, das es allen gezeigt hat (wem es noch nicht gezeigt wurde - am 2. Dezember ist die letzte Vorstellung, mehr Info darüber unten auf dieser Seite): MULTIKULTI GEHT DOCH. Multikultur ist da - wie die Sonne oder der Regen. Sie ist ein Faktum und kein Konzept, das scheitern oder gelingen kann. Und dieses Theaterstück zeigt im Kleinen, sozusagen von A - Z, oder vielmehr von I (Idee) bis P (Premiere), wie Multikultur geht.
Vielen entmutigenden Unkenrufen und sehr eingeschränkten Mitteln zum Trotz stellten die Macher von 'ITHAKA' , Sabine Trötschel, Zwaan de Fries und Rosemarie Anton etwas auf die Beine bzw. die Bühne, das in vielerlei Hinsicht grosse Beachtung verdient. Sicher hätten diese drei kreativen Damen dieses Stück und seine Besonderheiten nicht ersonnen, wenn sie nicht selbst reiche Erfahrungen im Ausland, das Gefühl des Zurückkehrens oder einen binationalen Familienhintergrund (oder alles zusammen) sowie ihre Antennen nicht ständig auf Empfang für interessante Menschen aus multinationalen Kulturen und deren Geschichten hätten. Hiermit fängt also alles an: Die Offenheit, die Neugier, die Bereitschaft für Wissen über den eigenen Tellerrand (mit Currywurst) (Curry kommt übrigens auch nicht aus Deutschland…) hinaus. Dieses Bedürfnis teilen auch die Einwanderer, gepaart mit dem Wunsch, an einem anderen Ort als ihrer Heimat aus den verschiedensten Gründen ein neues Leben zu beginnen. Ein Entschluss, der eine Energie voraussetzt, die ausschliesslich als bereichernd angesehen, gefördert und mit Begeisterung aufgenommen werden sollte.

Im Stück ITHAKA hat sich dieser Prozess mikrokosmisch abge'spielt', sowohl auf der Bühne als auch dahinter. Die Regisseurinnen liessen den aus fünf kulturell sehr unterschiedlichen Ländern stammenden Darstellern Raum, sie schufen Platz für sie, Platz nicht nur zur Darstellung ihrer Künste (die sie aus ihrer Heimat mitbringen und mit Leidenschaft weitergeben möchten), sondern auch ihrer Persönlichkeit, ihrer Menschlichkeit, ihrer Individualität. Sie werden nicht reduziert auf Folkloreboten, nicht reduziert auf die blosse Ausübung ihrer Kunst, wie z.B. in durchaus international besetzten Tanzkompanien oder Orchestern. Ihnen wurde vielmehr die Möglichkeit gegeben und gelassen, ihre eigene Stimme zu finden, ihre eigenen Worte zu formen - auch wenn diese nicht in perfektem Deutsch geäussert wurden, was normalerweise von einem Schauspieler in Deutschland verlangt wird. "Wir haben sie genau angesehen und geguckt, wie stehen sie, wie bewegen sie sich, was macht ihre Persönlichkeit aus, und sie konnten das auf der Bühne ausleben." (Zwaan) Und:" Wir wollten eine gemeinsame Sprache finden, die aus wenig Deutsch besteht, denn mit dem Ringen um Worte findet wie bei der Dichtung eine Ver-dichtung der Worte statt." (Sabine). Das Publikum reagierte enthusiastisch, besonders Menschen mit ähnlichem persönlichen Hintergrund konnten sich mit den Darstellern und dem Dargestellten identifizieren. "Wir hatten viele Besucher, die sonst nicht in deutsche Theater gehen." (Sabine Trötschel). Das Finden einer gemeinsamen Sprache, die auf verschiedenen Ebenen abläuft und für alle funktioniert - das war eine der grössten Herausforderungen und Anliegen des Stücks. Und ist dies nicht auch eine der grössten Herausforderungen in jeder Gesellschaft?

Jeder Kulturdezernent, Bildungs- und Erziehungspolitiker sollte begreifen, dass solche auf den ersten Blick vielleicht zu experimentell und damit risikobehaftet erscheinenden Projekte wie dieses Theaterstück es verdienen, besonders gefördert und weiter ausgebaut zu werden. Das vielbenutzte Wort Nachhaltigkeit findet hier besondere Bedeutung. Projekte wie dieses verstehen es, auf allen Ebenen beispielhafte, in der Praxis funktionierende gesellschaftsbereichernde Arbeit zu leisten: Das Potential von Menschen aus dem Ausland wird nicht nur wahr-, sondern auch ernstgenommen. Und es wird genutzt. Die Menschen fühlen sich angenommen, gerade MIT ihren kulturellen und ethnischen Eigenheiten, welche sie nicht gezwungen sein sollten abzulegen im Namen falsch verstandener Integration. Und das Publikum findet sich selbst wieder, fühlt sich bestätigt, inspiriert.

Die Schauspieler untereinander wurden während der vielen, vielen Proben mit den für jeden Einzelnen teilweise sehr fremden Gebräuchen der anderen konfrontiert und gingen mit grossem Respekt, Lernwillen und Toleranz damit um. Gastfreundschaft und respektvolles Miteinanderumgehen waren Selbstverständlichkeiten.
Ein Theaterensemble und authentisches Theater mit Migranten, die in Hannover leben - welch eine Chance! Für die Künstler ebenso wie für das Publikum! Leben und Umgehen mit neuen Kulturen öffnet. Ein Rezept, das viele unserer staatlichen Regisseure, sprich Politiker, nicht kennen, daher ihre, besonders im internationalen Vergleich, mehr als peinliche Resistenz gegen Öffnung.
"Wir haben Menschen vor uns, die bieten ganz viel, wie gehen wir mit diesen Menschen um?" (Rosemarie, den Umgang mit den Schauspielern beschreibend)
Kulturelle Vielfalt in einer Stadt ist eine Bereicherung. Sie wird durch Menschen aus anderen Kulturkreisen transportiert. Sie macht eine Stadt spannender, interessanter, kreativer, anziehender, produktiver. Sie sollte mit offenen Armen empfangen werden. Und selbst diejenigen, die die multikulturelle Gesellschaft noch immer als Vision einer fernen Zukunft betrachten - JETZT muss alles getan werden, damit sie auch hier zu dem heranreifen kann, was sie in vielen Teilen der Welt heute schon ist. 'KOMMT HER, MACHT MIT!' - statt: 'Ausländer raus, geht wieder nach Hause'.
(sus)
www.theaterwerkstatt-hannover.de